Liebe Leserinnen und Leser,
„Light up for the last mile“ heißt die Aktion, die am 30. Januar 2021 auch hier im Zentrum von Berlin den Zweiten Welttag gegen Vernachlässigte Tropenkrankheiten in den Fokus der Öffentlichkeit rückt. Rund um den Globus erstrahlen dann 30 Wahrzeichen leuchtend orange. Eines davon ist das Sony Center am Potsdamer Platz, das ich auch von meinem Büro aus gut sehen kann. Die globale Kampagne will mobilisieren. Ihr deutsches Motto lautet: HINSEHEN STATT ÜBERSEHEN – Vernachlässigte Krankheiten bekämpfen. Vergessene Menschen sichtbar machen.
Aufmerksamkeit und Zuwendung sind gerade hier bitter nötig. Denn bis heute leiden 1,7 Milliarden Menschen in 149 Ländern unter einer oder gar mehreren der 20 Vernachlässigten Tropenkrankheiten (NTDs). Die verantwortlichen Pathogene sind mindestens so alt und so anpassungsfähig wie unsere eigene Spezies. Auch im 21. Jahrhundert bleiben NTDs damit wahrhaft biblische Geißeln: Sie versehren, entstellen, verkrüppeln, isolieren oder töten. Oft machen sie die Gegenwart unerträglich und die Zukunft dunkel.
Auch Europa war einst stark betroffen: So sehen wir beispielsweise auf einem gotischen Altarbild der Mailänder Pinacoteca di Brera den offensichtlich von Drakunkulose (Guinea-Wurm) befallenen heiligen Rochus, und Leprosorien waren auch in unseren Städten bis weit in die Gegenwart Orte der Ausgrenzung und des Leidens. Verbesserte Hygiene, Schutzimpfungen und Antibiotikatherapien haben dann in den Industriestaaten zu enormen Fortschritten im Kampf gegen Infektionskrankheiten geführt. Im Ergebnis leiden heute daher vor allem arme Menschen in tropischen und subtropischen Regionen mit schlechter medizinischer Versorgung an den Folgen von NTDs.
Doch unsere gemeinsame Botschaft lautet: NTDs sind kein Schicksal. Sie sind heilbar, wenn wir nur unbeirrt „die letzte Meile“ gemeinsam gehen.
So wie bei eben jener Drakunkulose. Vor etwa vierzig Jahren fand der zuständige WHO-Experte für die Schwierigkeiten bei deren Eliminierung drastische Worte. Er habe das Gefühl, „einen toten Elefanten am Schwanz aus dem Sumpf zu ziehen“. Doch 2018 erkrankten gerade mal 28 Menschen an dieser parasitären Infektion. Und das Ziel ist in Sicht, ähnlich wie bei Lepra. In einer virtuellen Sitzung am 12. November 2020 haben die Delegierten der WHO daher mit großer Mehrheit dem neuen globalen Fahrplan zur Beseitigung von NTDs zugestimmt, der für die nächsten 10 Jahre unsere gemeinsame Planungs- und Handlungsgrundlage sein wird.
Ende Januar 2021 werden die DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe e. V. und das Deutsche Netzwerk gegen NTDs (DNTDs) eine Reihe von Aktionen starten. Auch das Deutsche Zentrum für die sektorübergreifenden Bekämpfung von NTDs (DZVT), bei dessen Gründung ich Mitte 2019 dabei sein durfte,ist dabei.
Der Fokus liegt auf Themen, die auch im BMZ wichtige Arbeitsschwerpunkte bilden, so zum Beispiel auf der Verbesserung der Wasser-, Hygiene- und Sanitärversorgung: Denn diese ist im Kampf gegen NTDs ein entscheidender Faktor, um die Infektionsketten endlich zu unterbrechen.
„One Health“ ist ein weiterer gemeinsamer Fokus, der im BMZ derzeit stark ausgebaut wird. Denn die meisten NTDs sind Zoonosen wie der Corona-Erreger, der die COVID-19-Pandemie ausgelöst hat. Solche Zoonosen auszurotten wird uns nur gelingen, wenn Tier- und Humanmedizin zusammenarbeiten und wir stärker Vorsorge tragen für gesunde Lebensmittel, Zugang zu sauberem Trinkwasser, für grüne Agrarproduktion und den Schutz der Biodiversität.
Erfolgreiche Kampagnen brauchen eine große Vision, schlagkräftige internationale Organisationen sowie eine verlässliche Finanzierung aus staatlichen und privaten Quellen.
Genauso wichtig für die letzte Meile ist aber der Einsatz der vielen Menschen, die sich direkt in den Partnerländern oder in der hiesigen Zivilgesellschaft engagieren und so Jahr um Jahr millionenfach Hoffnung in die Welt tragen.
Ich danke Ihnen dafür herzlich
Ihr
Gerd Müller