29. September 2016

Kinder von Ijinga

Trotz Mentor an der Seite - das Mädchen aus der Vorschulklasse hat schon bei der Registrierung Angst vor der bevorstehenden Untersuchung.
Trotz Mentor an der Seite - das Mädchen aus der Vorschulklasse hat schon bei der Registrierung Angst vor der bevorstehenden Untersuchung. Foto: Jochen Hövekenmeier / DAHW

In einer kleinen Schule auf der Insel Ijinga werden die Kinder auf Schistosomiasis untersucht.

Der Deutsche an sich jammert ja gerne. Über dieses Phänomen wurden schon Bücher und Artikel geschrieben, die sich lang und breit damit auseinander setzen. Ob der einzelne Deutsche nun dazu Grund hat oder nicht, das muss jeder für sich selber wissen.
Auf Ijinga, dieser kleinen Insel rund 50 Kilometer westlich von Mwanza, habe ich einen Menschen kennengelernt, der sich über nichts beschwert: Schulleiter Julius Ncheyeki hat uns Räume zur Verfügung gestellt, um die Inselbewohner auf Bilharziose (Schistosomiasis) zu untersuchen. Zudem organisiert er den reibungslosen Ablauf an den Tagen, an denen seine Schüler untersucht werden.

Früh am Morgen trifft es zuerst die Vorschüler, zu erkennen an ihren blauen Schuluniformen: Jedes der fast 170 Kinder muss zunächst registriert werden, wird dann vermessen und gewogen, muss danach eine Stuhl- und Urinprobe abliefern und wird dann per Ultraschall untersucht. Wer selbst Kinder in diesem Alter hat, wird sich vorstellen können, wie diesen kleinen Kindern die Angst buchstäblich im Gesicht geschrieben steht. Dass jedes dieser kleinen Kinder einen „Mentor" hat, eines der größeren Schulkinder als ständigen Begleiter, ändert an der Angst nicht viel, hilft aber, dass die Kinder auch wirklich all das machen, was für diese Untersuchung notwendig ist.

Während die Kinder untersucht werden, klärt mich der Schulleiter über den Alltag an seiner Dorfschule auf und es wird klar, dass er eigentlich viele Gründe hätte sich zu beschweren. Es ist eine „Primary School", in der Kinder bis zur sechsten Klasse unterrichtet werden. Rund 400 Kinder teilen sich auf in sechs Klassen, die größte davon umfasst 91 Schüler. Dazu kommen noch rund 170 Vorschüler, die in den kommenden zwei Jahren in die erste Klasse gehen werden. Da Ncheyekis Schule nur über sieben Klassenräume und sieben Lehrer verfügt, müssen sich diese 170 Vorschüler also einen Raum teilen. Jetzt, in der Trockenzeit, geht es ja noch so gerade, weil er mit einigen Hilfslehrern die Klassen aufteilen und einen Teil des Unterrichts im Freien halten kann. Doch in drei bis vier Wochen beginnt die Regenzeit, dann müssen sich alle Schüler in einen Klassenraum drängen, der auch nicht größer ist als einer in Deutschland, wo sich viele Eltern schon laut beschweren, wenn dort mehr als 25 Kinder sitzen müssen.

Schon oft hat der Schulleiter bei der Regierung angefragt, ob er denn endlich Geld bekommen könnte für mehr Klassen. „Vielleicht irgendwann", so habe man es ihm hoch und heilig versprochen, „wenn Geld dafür verfügbar ist."
Dabei wäre er doch schon mit wenig Geld zufrieden, um die vorhandenen Klassenräume vor dem vollständigen Verfall retten zu können: Bei einem Gebäude droht das Dach die nächste Regenzeit nicht zu überleben, bei einem anderen sind so große und tiefe Löcher im Boden, einmal kam eine Schlange als ungebetener Gast in den Unterricht, glücklicherweise keine giftige.

„So ist halt das Leben in Afrika, in Tansania und speziell in einem kleinen Dorf", resümiert Schulleiter Ncheyeki mit einem Achselzucken, aber ohne sich zu beschweren. „Natürlich würde ich mich freuen über etwas Geld für die Renovierung oder für zwei oder drei zusätzliche Gebäude, in denen wir jeweils zwei neue Klassen unterrichten könnten, aber wenn es halt nicht geht, dann müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen." 

So hat er es auch mit der Schulküche gemacht, also mit dem Ort, den alle hier so nennen: Eine Nachbarin kocht jeden Tag mit einigen Schülern für alle Kinder, damit sie wenigstens etwas im Magen haben. „Früher haben wir die Kinder zur Mittagszeit nach Hause geschickt, damit sie dort etwas essen können, wie es halt in den hiesigen Vorschriften steht", erklärt mir Ncheyeki, „doch was die Vorschriften nicht berücksichtigen ist, dass die Eltern den ganzen Tag arbeiten müssen und keine Zeit haben, für ihre Kinder zu kochen." Und weil lernen mit knurrendem Magen schwierig ist, gibt es jetzt Mittagessen für alle – bezahlt von den wenigen Eltern, die sich das leisten können. Zum Glück wird der Reis hier selbst angebaut und der Fisch selbst gefangen, so dass die Kosten sehr gering sind. 

Nur, leider kommen die Menschen, die den Reis anbauen, den Fisch fangen oder das Trinkwasser aus dem See holen, auch in Kontakt mit den fast unsichtbaren Larven, die Bilharziose auslösen. Und alle, aber auch wirklich alle Kinder wurden positiv auf die Krankheit getestet. Und trotzdem: Beschwerden höre ich keine, nur die Hoffnung, dass die Mediziner aus dem Bugando-Hospital in Mwanza und dem Missionsärztlichen Institut aus Würzburg Lösungen finden werden. Und was den baulichen Zustand der Schule angeht, regiert in Julius Ncheyeki auch die Hoffnung: Entweder erbarmt sich ein Beamter im Ministerium, weil er nicht mehr die monatlichen Anfragen aus Ijinga bekommen möchte, oder es eröffnen sich andere Möglichkeiten. Und wenn nicht, wird er sich trotzdem nicht beschweren, denn damit hat noch niemand ein Problem lösen können, sagt der findige Pädagoge.